Maria's Notitzbuch
In lichten Momenten, Augenblicken des Erinnerns, denkt Maria sofort an ihr Notizbuch. Als sie vor vielen Jahren bemerkte, sich nichts mehr merken zu können, hat sie dieses Buch gekauft. Darin hat sie die „wichtigen Dinge“, wie sie betont, aufgeschrieben. Den Namen ihres Sohnes beispielsweise. Oder auch den Namen ihres Mannes, der wie sie selbst in einem Pflegeheim lebt. In ihrem Notizbuch steht, er sei neun Jahre älter als sie.
In den nicht so lichten Momenten, da vergisst sie ihr Buch. Dafür beschimpft sie Pflegerinnen, ihre Sachen zu stehlen.
HINTERGRUND
Ihre Eltern gaben ihr den Namen der Heiligen Mutter Gottes. Dennoch, sagt sie, war ihr Leben nicht ausreichend gesegnet. Sie heiratete, bekam einen Sohn. Sorgte sich, ganz dem klassischen Familienbild der Zeit entsprechend, um das Haus und die Familie. Als ihr Mann erkrankte, schlitterten sie in Schulden und zogen von einem Ort zum anderen.
Als ihr Sohn volljährig wurde, ging er ins Ausland und hält bis heute nur losen Kontakt zu seinen Eltern, die in zwei verschiedenen Heimen untergebracht sind. Das monatliche Taschengeld vom Sozialamt reicht bei Maria für einen Haarschnitt alle drei bis sechs Monate. Kleidung erhält sie von der Caritas.